Das Interview mit Viktor hat mich ermutigt, diesen Beitrag zu verfassen. Das ermöglicht mir, Viktors Geschichte über das Igorlied aufzugreifen, das Studentenblog weiterzuentwickeln und meine Erzählung über meine Erfahrung als Archäologen fortzusetzen.
Wie ich schon gesagt habe, bin ich 2024 im Kirillo-Belozerskij Kloster gelandet. Wir haben Ausgrabungen ums Refektorium und Archiv herum vorgenommen. Die Gebäude gehen auf den 16.Jahrhundert zurück. Gerade an diesen Stellen hat der hochrangige Staatsbeamter Alexei Mussin-Puschkin im Winter 1792-93 im Auftrag der Kaiserin Katharina II. Manuskripte entnommen.
Wie ich schon erwähnt habe, waren russische Klöster vor Mitte des 18.Jahrhunderts die einzigen Herde der russischen Aufklärung. Aber seit diesen Jahren ist die Epoche der weltlichen Aufklärung eingetreten. Außerdem wurde den Klöstern der ökonomische Grund – der Boden mit der unentgeltlichen Arbeitskraft bzw. Leibeigenen -- entzogen. So wurde beschlossen, alle Manuskripte in den Klöstern zu erkunden, sie wegzunehmen, zu erforschen und öffentlich zu machen. So ist Mussin-Puschkin in das Kloster geraten. Wegen seiner Bedeutung hat die Sammlung des Klosters 25% der gesamten Sammlung von allen Klöstern ausgemacht.
Und das ist nicht alles. Nach der Behauptung von Alexandr Bobrow (das Institut für russische Literatur Puschkinhaus) und Michail Schibajew (der Abteilungsleiter der Manuskripte von der Russischen Nationalbibliothek) könnte gerade das Kirillo-Belozerskij Kloster der Ort gewesen sein, wo das einzige Exemplar vom Igorlied einmal entdeckt worden ist.
Überraschenderweise hinterließ selbst Mussin-Puschkin diesbezüglich keine Zeugnisse. Gewöhnlich prahlt und genießt man nämlich solche Erfolge mit allen Einzelheiten. Die Schuld daran könnte die nationale russische Krankheit bzw. Korruption getragen haben. Außer dass Mussin-Puschkin zuständig für die Entnahme der Manuskripte war, war er selbst ein privater Sammler der Altertümer. Heutzutage sei es ein Interessenkonflikt genannt. Erst nach seinem Tod tauchte eine Information auf, dass er einem Freund von ihm – nach inständigen Bitten – preisgegeben habe, dass er das Igorlied privat in Jaroslawl kaufen musste.
Die dramatische Ironie besteht darin, dass dieses einzige Exemplar 1812 während der Einnahme Moskau von den Napoleons Heeren verbrannte. Aber die Sammlung vom Kloster ist bis heute erhalten geblieben.
Ob die Hypothese stimmt oder nicht, werden wir kaum erfahren. Aber die Tatsache ist, dass das Igorlied mindestens vorübergehend im Kloster vorhanden war. Im späten 15. Jahrhundert verfasste ein Mönch vom Kloster namens Jefrossin das Epos Zadonschtschina. Das Epos war den Königen vom Beloozero gewidmet, die in der Schlacht vom Feld Kulikowo gefallen waren. Im Text sind sie als Habsichte vom Beloozero – белозерские ястребы - benannt. Und Zadonschtschina enthält etwa fünf Zitate aus dem Igorlied. So ist das Kloster ein einziger Ort, wo die Spuren des Igorlieds vorliegen. Und natürlich erfasste mich ein aufregendes Gefühl, den Boden und die Umgebung zu berühren, wo die beiden Meisterwerke der russischen Literatur getroffen sind und hier einmal auf einem Tisch gelegen haben.
Liebe Leser, wenn Ihnen Fehler in meinem Beitrag vorgekommen sind, die ich begangen hatte, würde ich mich darauf freuen, dass Sie mir Bescheid sagen.
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