Kein Job kann immer nur Spaß machen
Mut zu einem neuen Realismus: Solange eine Tätigkeit Freude bringt, ist niemand wirklich gefordert Von
Fredmund Malik
St. Gallen - Soll
Arbeit Spaß machen? Die meisten werden diese Frage mit ja beantworten.
Was denn sonst? So plausibel die Antwort erscheinen mag, so
problematisch ist sie, denn sie wird in der Regel nicht als Wunsch oder
Ideal, sondern als Anspruch und Forderung verstanden.
Dieser Anspruch
ist zu einer dominierenden Vorstellung in Management und
Managementausbildung geworden. Er findet sich in fast allen
einschlägigen Publikationen und ist regelmäßig Ergebnis von angeblich
wissenschaftlichen Umfragen. Dies hat desaströse Auswirkungen. Dadurch
sind Erwartungen entstanden, die kein Wirtschaftsunternehmen, aber auch
keine andere Organisation erfüllen kann.
Die Maxime, dass
Arbeit Freude oder gar Spaß machen soll, ist eine Irrlehre, und dass
sie weithin vertreten wird, macht sie nicht richtiger. Um kein
Missverständnis aufkommen zu lassen: Selbstverständlich soll man alles
tun, um erstens mit Arbeit verbundenes Leid zu beseitigen, wo immer das
möglich ist; und ebenso selbstverständlich hat man einen großen
Fortschritt erzielt, wenn es zweitens gelingt, dass immer mehr Arbeiten
gelegentlich auch Freude machen können, und wenn es denn sein muss, auch
Spaß, was ja keineswegs dasselbe ist, obwohl die Begriffe in diesem
Zusammenhang bemerkenswert häufig als Synonyme verwendet werden.
Aber man muss
unmissverständlich klarstellen, dass kein Job immer nur Freude machen
kann und dass jede Arbeit Elemente aufweist, die nie und niemandem
Freude machen können. Alles andere ist romantisch und naiv. Selbst jene
Tätigkeiten, von denen viele glauben, dass sie zu den idealen,
spannenden und faszinierenden Berufen gehören, wie vielleicht
Flugzeugpilot, Herzchirurg, Fernsehmoderator, Model oder
Orchesterdirigent, haben ihre langweiligen Seiten. Auch hier entsteht
mit der Zeit ein erhebliches Maß an Routine, Alltagstrott und Mühsal.
Außerdem muss
doch klar sein, dass auch jene Arbeiten getan werden müssen, die nicht
nur manchmal beschwerlich sind, sondern die als Ganzes niemandem und
niemals Freude und Spaß machen können. Es werden auch in Zukunft
Toiletten in Hotels und an Flughäfen zu putzen sein, es wird
Müllkutscher brauchen, und es wird zahlreiche Hilfsarbeiten geben, die
selbst jenen Leuten keinen Spaß machen, die an sich auch mit niedrigsten
Maßstäben zufrieden sind. Was sollen diese mit der Maxime anfangen,
dass Arbeit Freude machen soll?
Ebenso
fragwürdig muss sie für Menschen sein, deren Berufe sie täglich mit dem
Elend dieser Welt konfrontieren: Flüchtlingshelfer, die nicht wirklich
helfen können; Sozialarbeiter, die weder Drogensucht, Prostitution noch
Obdachlosigkeit beseitigen können; Lehrer und Priester in den Slums von
Großstädten; Ärzte und Schwestern, die auf Intensivstationen und
Krebsabteilungen einen nur zu oft aussichtslosen Kampf führen. Sie tun
ihre Arbeit nicht wegen der Freude, sondern weil sie getan werden muss,
aus Pflichtbewusstsein.
Ja, ich schlage
vor, auch wenn es nicht zeitgeistkonform ist, das Wort "Pflicht" vorerst
noch nicht aus dem Sprachgebrauch zu streichen, jedenfalls nicht aus
jenem von Führungskräften. Würden nur jene Arbeiten verrichtet, für die
man motiviert ist oder die einem Spaß machen, kämen Wirtschaft und
Gesellschaft innerhalb weniger Minuten zum Stillstand.
Zu beachten ist
schließlich: solange eine Arbeit Freude macht, ist niemand wirklich
gefordert. Vor allem braucht es dann weder Führung noch Führungskräfte;
dann geht es ja meistens von allein. Gefordert ist man als Mensch und
als Führungskraft, gar als Leader erst dann, wenn die Arbeit keinen Spaß
mehr macht, aber dennoch getan werden muss; dann, wenn man zum Beispiel
die Schwierigkeiten einer sich hinschleppenden Post-Merger-Phase zu
bewältigen hat oder eines festgefahrenen Innovationsprojektes, eines
Turnarounds, oder wenn Personalabbau notwendig ist. Die schwierigen,
harten, unpopulären und nicht selten Leid verursachenden Maßnahmen sind
es, die Führerschaft erfordern. Wie kann man daran Freude oder gar Spaß
haben? Und welchen Charakter würde das voraussetzen?
Die Maxime, dass
Arbeit Spaß machen soll, macht die Motivation von Mitarbeitern fast
unmöglich, weil sie einen Teufelskreis in Gang setzt: Die von
Führungskräften und Trainern produzierten Erwartungen werden -
notgedrungen - enttäuscht, sie können - selbst bei besten Absichten -
nicht erfüllt werden, die Mitarbeiter werden frustriert; darauf wird mit
Motivationsprogrammen und "motivierendem" Verhalten geantwortet; dies
kann von den Betroffenen aber nur als ein Versuch der Manipulation
verstanden werden und nicht selten als eine besonders raffinierte Form
von Zynismus, weil ja die Arbeit selbst im Regelfall nicht verändert
wird, aber der Anspruch auf Freude und Spaß daran noch immer aufrecht
ist. Die Frustrationen werden nur umso größer, weil die Leute sich nun
zusätzlich auch noch verschaukelt fühlen. Ein Ausweg aus diesem circulus
vitiosus ist nur möglich, wenn man den Mut zu einem neuen Realismus
aufbringt und anfängt, die Dinge beim Namen zu nennen.
Die Forderung,
dass Arbeit Freude und Spaß machen soll, führt nicht nur zu
unüberwindbaren Motivationsproblemen. Sie hat noch eine zweite
desaströse Folge. Sie lenkt vom Wichtigsten ab, das mit Arbeit verbunden
sein muss - von den Ergebnissen der Arbeit. Sie konzentriert das Denken
der Menschen auf die Arbeit als solche, statt sie auf die Resultate
ihrer Arbeit auszurichten. Nicht die Arbeit ist wichtig, sondern die
Leistung - nicht der Input, sondern der Output. Es ist daher auch
wichtig, nicht nur über die Arbeitslosigkeit zu reden, sondern auch über
die Leistungslosigkeit.
Wenn schon, so
sollte die Forderung modifiziert werden: Weniger die Arbeit als vielmehr
ihre Ergebnisse sollen Freude machen. Auch das lässt sich nicht
wirklich durchhalten, aber es trägt ein gutes Stück weiter. Um es
nochmals klarzustellen: Wenn die Arbeit Freude macht, ist das
selbstverständlich gut, und in Wahrheit ist es ein großes Privileg, eine
Arbeit zu haben, die das tut. Aber selbst wenn das nicht möglich ist,
können gelegentlich die Resultate Freude machen. Oder besser: sie können
mit einem gewissen Maß an Befriedigung verbunden sein, die auch bei
Menschen, die niedrigste Hilfsarbeiten zu verrichten haben, zu jenem
Minimum an Selbstrespekt führt, das sie brauchen, um Menschen zu sein.
Prof. Fredmund Malik ist Verwaltungspräsident des Management Zentrums St. Gallen
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