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Dienstag, 4. Februar 2025

Die Archäologen suchen nach keinen Horten. Aber einen Hort haben wir ausgemacht.





 Ich will eine Sache klarmachen, um ein Mussverständnis zu vermeiden. Man nimmt an, dass Archäologen nach Goldschätzen hätten suchen können.

Die Tatsache ist, dass  Archäologen nicht nach Horten, sondern nach einer Kulturschicht suchen. Unter dem Begriff meint man einen Boden, in dem es Spuren der menschlichen Tätigkeit gibt und den man mit einem Zeitraum datieren kann. Das heißt nicht unbedingt Gegenstände. Das kann einfach ein Boden sein, woraus Forscher durch Spuren Bakterien ermitteln, mit welchem Stoff die Bakterien in der Vergangenheit zu tun hatten. Das kann eine Kürschnerei, eine Färberei oder eine Gerberei sein.

Natürlich verzichten Archäologen auf keinen Hort. Aber sein archäologischer Wert ist nicht mit dem darin erhaltenen Gold geschätzt. Goldstücke lassen nur leicht die Schicht datieren, weil Münzen mit einer bestimmten Epoche verbunden sind. Auch sie lassen Erkenntnis über Handelswege erwerben.
Aber manche nicht kostbare Funde lassen mehr historische Geheimnisse offenbaren. Die Entdeckung einer Ruderdolle im Gnjozdowo ließ erschließen, dass Gnjozdowo einen wichtigen Hafen auf dem Weg "von den Warägern zu den Griechen" war. Außer der Archäologie konnten wir diese Information nirgendwo erwerben.

Und natürlich ist die Entdeckung von den Birkenrinden unvergleichbar wichtiger, obwohl sie kein Gold enthalten. Aber sie geben so viele Erkenntnisse, die man nirgendwo ausfindig machen kann. Es geht um historische Ereignisse, Toponyme, alltägliche Aktivitäten. Es war überraschend zu erfahren, dass die Rus ein fremdes Land für Nowgoroder war. Nur die Birkenrinde lassen uns den Werdegang der russischen Umgangssprache verfolgen und sogar Schlüsse über die Völkerwanderung ziehen.

Außerdem muss ich hinzufügen, dass diese These meine Weltanschauung total umgewandelt hat. Nach der Erfahrung als Archäologen bin ich zur Auffassung gekommen, dass die Geschichte einer Stadt die Geschichte ihrer Vorfahren statt der Geschichte der Meisterwerke ist. So ist für mich ein ethnografisches Museum kein Museum über Izbas, Spinnräder und Mühlen. Das ist ein Museum über Leute. Und nur dann folgen Izbas, Spinnräder und Mühlen, die diese Leute schaffen.

Wenn ich als Reiseführer arbeite, sage ich nie: „Das ist ein Barock, seien Sie glücklich, dass Sie es sehen können.“ Ich lege die Stimmungen unserer Vorfahren dar, warum sie den Barock bewunderten und dann warum sich ihre Stimmungen so veränderten, dass der Barock vom Klassizismus abgelöst wurde.

Ebenso ist für mich die Geschichtswissenschaft keine Geschichte über Tyrannen (gleicherweise Helden).  Iwan der Schreckliche, Peter der Erste, Bolschewiken fielen nicht von Himmel. Sie sind Früchte unserer Stimmungen, Sitten und Bräuche und auch eine Fortsetzung dieser Sitten und Bräuche. „Ein bisschen“ extrem. Aber das Pendel schwingt in die extreme Position nicht selbst, nur vor dem Gegenwirkungsprinzip. Das haben wir dem 3. Newtonschen Gesetz zu verdanken.

 Ich sage nie, dass unsere Vorfahren besser oder schlechter als wir waren oder Ausländer besser oder schlechter als die Russen waren. Sie begingen auch Fehler. Wie wir. Es sei denn, dass sie im Unterschied von uns nicht wussten, dass es ein Fehler sein könnte. Sie waren wie wir mit Ehebrüchen, Neid, Wissbegier. Es sei denn, sie waren in andere menschliche Beziehungen gestellt. Ich meine „Beziehungen“, aber nicht „Zeitraum“. Denn ein Zeitraum folgt immer den Beziehungen und nicht umgekehrt.

Daraus geht hervor, dass die Weltgeschichte vor allem die Geschichte des menschlichen Verhaltens bzw. nicht der Gegenstände oder der Tyrannen ist. Und Archäologen verschreiben sich, gerade eine menschliche Tätigkeit aufzufinden statt kostbare Goldstücke.

Aber den Hort haben wir entdeckt. 

Eines Septembertages machten wir uns darauf, um das Archiv herum zu graben. Zuerst ergab der Boden eine Enttäuschung.  Er erwies sich als eine Latrine, die nur stank, ohne Gegenstände war, die wir bis zum Ende ausgraben mussten. Hätten wir damals gewusst, was uns zuteilwerden wird! Würden Sie wissen, aus welchem Boden Horte entdeckt werden!

In einem benachbarten Schacht verrichteten meine Kollegen – Ilia und Sweta -- ihre Arbeit. Sie sind auf die Reste eines Holzblockhauses aus der Sowjet Epoche gestoßen. Und gerade unter dem Blockhaus hat Sweta Münzen aufgefunden. Sie waren ohne Behälter. Wahrscheinlich konnten sie in einen Textilstoff eingewickelt sein, der mit der Zeit zerfiel. Der Hort ergab Münzen - auch aus Silber - des 16. Jahrhunderts, das mit der Zeit der Wirren Anfang des 17. Jahrhunderts zusammenfällt. Horte vergräbt man nur aus Gefahr. Und 1612-1613 ertrug das Kloster eine Belagerung der Litauer. Zudem kommt eine besondere Empfindung auch zu einer persönlichen Geschichte: aus Gefahr versteckt ein Mönch Ersparnisse, die Gefahr verwirklicht sich, der Mönch kann sie nicht holen (ist er getötet?), und du bist der Folgende, der den Hort berührt.

Der Hort erwies sich als der reichste in der Geschichte des Klosters.

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